Deutsche Dienste: Keine Belege für Desinformationskampagne Putins

Tiroler Tageszeitung

6-2-2017

München (APA/AFP) – Deutsche Geheimdienste haben Berichten zufolge in umfangreichen Ermittlungen keine eindeutigen Beweise für eine russische Desinformations-Kampagne gegen die Bundesregierung gefunden. Trotz dieses Ergebnisses sähen der Bundesnachrichtendienst (BND) und das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) keinen Grund zur Entwarnung, berichteten „Süddeutsche Zeitung“, WDR und NDR am Montag.

Die Medien stützten sich auf das Ergebnis einer fast einjährigen Ermittlung. „Wir haben keine Smoking Gun gefunden“, hieß es den Medien zufolge in Regierungskreisen über den Versuch, einen schlagenden Beweis für politische Einmischung Russlands zu finden. Solch einen Beleg hätte die Regierung gerne präsentiert, um Russland vor Aktionen dieser Art zu warnen.

Ursprünglich hätten die Geheimdienste geplant, die als geheime Verschlusssache eingestufte Untersuchung zumindest teilweise zu veröffentlichen, berichteten die Medien. Doch angesichts fehlender Beweise werde eine Veröffentlichung nicht für sinnvoll gehalten. Dies hätte das ohnehin angespannte Verhältnis zu Russland nur noch weiter belastet.

Das Kanzleramt habe allerdings angeordnet, den Sachverhalt weiter zu untersuchen. Denn der Bericht der Sonderauswertung „Sputnik“ des Verfassungsschutzes und des Arbeitskreises „Psychologische Operationen“ des BND sei aus Sicht der Regierung auch kein Freispruch, heißt es in den Medien.

Der Geheimdienstbericht dokumentiert demnach einen seit 2014 „konfrontativeren Kurs“ Russlands gegenüber Deutschland und nennt die Berichterstattung russischer Medien und deren deutschen Ableger „feindselig“

http://www.tt.com/home/12590023-91/deutsche-dienste-keine-belege-f%C3%BCr-desinformationskampagne-putins.csp

Deutschen Wirtschafts Nachrichten: Merkel erklärt Russland zum Rivalen von Deutschland

Deutsche Wirtschafts Nachrichten  |  Veröffentlicht: 06.06.16 18:04 Uhr

Die neue Militärdoktrin sieht Russland nicht mehr als Partner, sondern als Rivalen. Moskau ist empört und bezichtigt Bundeskanzlerin Merkel, der US-Regierung hörig zu sein. Die Doktrin, die im neuen Weißbuch dargelegt wird, dürfte in Deutschland vor allem das Internet zum Kampfplatz werden lassen.

Das Verhältnis zwischen Deutschland und Russland treibt weiter in Richtung Zerrüttung. Anlass für die neueste Verstimmung ist das in Kürze erscheinende Weißbuch der Bundeswehr, also die neue Militär-Doktrin Deutschlands. Die russischen Geheimdienste haben das Papier offenbar bereits eingehend studiert – und senden noch vor der Veröffentlichung eine harsche Protestnote nach Berlin: Der Chef des Auswärtigen Ausschusses der russischen Staatsduma, Alexej Puschkow, schreibt über den Kurznachrichtendienst Twitter: „Die Entscheidung der deutschen Regierung, Russland als Gegner zu deklarieren, zeigt Merkels Hörigkeit gegenüber der Obama-Regierung.“

Deutschland schätzt Russland als Rivalen ein, nicht als Partner

Zuvor hatte der Kreml-Sprecher Dmitri Peskow kritisiert, dass Deutschland Russland in seinem redigierten Weißbuch als Rivalen und nicht als Partner eingestuft hat, berichtet die Tass. „Russland ist kein Partner mehr, stellt die Regierung fest, sondern ein Rivale. Durch seine auf der Krim und im Osten der Ukraine zutage getretene Bereitschaft, die eigenen Interessen auch gewaltsam durchzusetzen und völkerrechtlich garantierte Grenzen einseitig zu verschieben, stelle Russland die nach dem Kalten Krieg geschaffene europäische Friedensordnung offen infrage“, zitiert die Zeitung Welt aus dem Weißbuch des Bundesverteidigungsministeriums.

Peskow sagte laut TASS, dass, sollte die Darstellung der Welt wirklich zutreffen, dies gleichzeitig „bedauerlich und bedenklich“ sei: Es sei bedauerlich, dass man demnach im Westen die Absichten Russlands nicht verstanden haben, nämlich „auf dem europäischen Kontinent eine Atmosphäre der auf die Zukunft ausgerichteten Kooperation statt der Konfrontation“ anzustreben. Die Sorge sei in der Möglichkeit begründet, dass Deutschland durch falsche Informationen „konfrontative Handlungen“ auslösen könne, welche „keinen Beitrag zum Vertrauen und zur Zusammenarbeiten leisten“ würden.

Das Weißbuch ist ein Dokument des Bundesverteidigungsministeriums, in dem die sicherheitspolitische Lage und Rivalen Deutschlands definiert wird. In dem Dokument werden sowohl die Verbündeten als auch die Gegner und Feinde Deutschlands festgelegt.

Veröffentlichung des Dokuments erfolgt erst im Juli

Das Weißbuch folgt in seiner Definition von Russland als Rivalen der neuen Nato-Doktrin. Diese war auf dem Nato-Gipfel in Wales beschlossen worden, danach hatte Bundeskanzlerin Merkel die Neuausrichtung für Deutschland in Auftrag gegeben.

Aktuell gibt es noch keine Version, das Weißbuch soll im Juli veröffentlicht werden. Die Zeitung Welt hatte offenbar einige Ausschnitte zugespielt bekommen. Es sind allerdings altbekannte Bedrohungsbilder wie Terror, Klimawandel und ungeordnete Zuwanderung, über die die Zeitung räsoniert. Interessant ist, dass offenbar der Zerfall der EU nicht ausdrücklich als Gefährdung für Deutschland gesehen, sondern nur als denkbares Szenario beschrieben wird.

Bereits jetzt kann man auf der Internetseite des Bundesverteidigungsministeriums nachlesen, dass die Bundesregierung vor allem dem Internet als Ort der Meinungsbildung zuleibe rücken will. Die Bundesregierung sieht – in fast schon paranoider Angst – hinter jedem Smiley einen Aluhut, wittert also eine umfassend vom Kreml gesteuerte Desinformationskampagne. Diese Front dürfte schon bald stärker in den Fokus der militärischen Abwehr geraten. Wir lesen auf der offiziellen Website:

„Durch sogenannte Internet-Trolle und politisch gesteuerte Medienkampagnen versucht der Kreml, Medien, Politik und öffentliche Meinung in den westlichen Gesellschaften zu beeinflussen. Auch Deutschland war in der Vergangenheit schon betroffen. Experten rechnen die gezielten Falschmeldungen einer „hybriden Kriegführung“ zu.

Troll-Beiträge sollen die Kommunikation im Internet steuern und finden sich vor allem in Diskussionsforen. Als Troll wird in diesem Kontext bezeichnet, wer systematisch Diskussionen mit strategisch-einseitigen Beiträgen von einem verdeckten Absender aus beeinflusst, um eine politisch verzerrende Wirkung zu erzielen.

Ein Beispiel sind Beiträge, die Russlands Aggressionen in der Ukraine rechtfertigen sollen. Diese Posts kommen informativ und in attraktiver Verpackung daher, sind jedoch Teil einer ausgeklügelten Strategie: Durch die gezielt platzierten falschen Nachrichten soll das Meinungsbild der Leser nachhaltig beeinflusst werden.

Allein in St. Petersburg arbeiten nach Angaben von DGAP-Experte Stefan Meister 300 Kreml-Trolle an der Verbreitung falscher oder erfundener Informationen über die sozialen Netzwerke. Eines der wichtigsten Instrumente ist das Online-Medienportal „Sputnik“, das in mehr als 30 Sprachen abrufbar ist. Mehrere hundert Mitarbeiter arbeiten dort an der weltweiten Verbreitung der Propaganda-Nachrichten des Kreml. Verantwortet wird das Portal von Russlands staatlicher Nachrichtenagentur Rossiya Segodnya. Das NATO Strategic Communications Center of Excellence (StratCom COE) in Lettlands Hauptstadt Riga unterscheidet zwischen fünf verschiedenen digitalen Angriffen:

– Verschwörungs-Trolle zielen darauf ab, alles Übel der Welt auf die USA zurückführen.

– Wut-Trolle schüren Hass und Aggressionen. – Anhang-Trolle verbreiten Schadprogramme. – Wikipedia-Trolle haben das Ziel, Fakten im Netz zu manipulieren. – Bikini-Trolle setzen auf erotische Fotos, um – etwa über die Bildunterschriften – Propaganda zu streuen.

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http://deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/2016/06/06/merkel-erklaert-russland-zum-rivalen-von-deutschland/

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US-Panzer in Osteuropa – MdB Neu: „Bundesregierung ist hirnlos konform“

Sputnik Deutschland

31.03.2016
Übung litauischer, polnischer und ukrainischer Truppen (Archiv)
Mit Soldaten, Panzern und schwerem Kriegsgerät wollen die USA ihre Präsenz im Osten Europas verstärken. Die Bundesregierung schweigt offiziell, viele Regierungspolitiker stehen dabei aber ganz offen hinter Washington. „CDU, SPD und Grüne gehen damit hirnlos konform“, kritisiert Dr. Alexander Neu, der die LINKE im Verteidigungsausschuss vertritt.

Herr Dr. Neu, die USA verlegen eine ganze Brigade ihres Militärs in den Osten Europas. Dort soll sie zwischen verschiedenen Staaten rotieren. Wie bewerten Sie dieses Vorhaben?

Laut Medienberichten soll die Verlegung ja Anfang 2017 bis 2018 stattfinden. Das heißt: Wenn Russland so provokativ ist, wie es die Amerikaner behaupten, wundert mich vielmehr, dass man sich bis Februar 2017 Zeit lässt. Angesichts einer so großen Bedrohung durch die Russen, wie es die Amerikaner suggerieren, hätte ich mir doch gedacht, dass das viel schneller geht. Das zeigt mir, dass der Hintergrund nicht eine Aggression Russlands ist, sondern dass man hier eine Gefahr suggeriert, die so nicht gegeben ist. Man versucht, die Russophobie in Europa zu steigern.

In einer Mitteilung des Verteidigungsministeriums in Washington hieß es, man reagiere mit dieser Truppenverlegung auf den „aggressiven Kurs Russlands”. Das klingt ja fast, wie eine Argumentation aus dem kalten Krieg…

Ich sehe nicht, wo die Aggressivität Russlands gegeben ist. Man kann natürlich über die Krim streiten, da kann man unterschiedliche völkerrechtliche Bewertungen anlegen. Ich habe da eine ganz eigene Bewertung, auch vor dem Hintergrund der Zerschlagung Jugoslawiens durch den Westen und der Anerkennung der jugoslawischen Teilstaaten, sowie des Kosovo. Da kann man bei der Krim nicht anders argumentieren, als bei Jugoslawien.

Der Westen hat diesen Präzedenzfall selbst geschaffen. Auch bei der Ost-Ukraine muss man sagen: Der Putsch ging nicht von Russland aus, sondern vom Westen — als die gewählte Regierung Janukowitsch nicht das EU-Assoziierungsabkommen unterzeichnen wollte. Ich sehe also nicht, dass das Baltikum, Rumänien, Bulgarien, Polen in irgendeiner Weise territorial bedrängt oder bedroht werden. Insofern ist das eine sehr abstrakte und fiktive Bedrohung. Man hat das Gefühl, dass sich gewisse osteuropäische Staaten und deren Eliten, sowie amerikanische Eliten gegenseitig in Bedrohungsszenarien befruchten. Und somit wird ein Aggressionskurs Russlands suggeriert, der aber keine materielle Grundlage hat.

Die geplante US-Truppenverlegung soll 4200 Soldaten, 250 Panzer und weiteres Kriegsgerät umfassen. Die Aufrüstung im Osten Europas soll Anfang 2017 beginnen. Präsident Obama hat außerdem eine Aufstockung der US-Verteidigungsausgaben für Europa angekündigt. Wohin steuern die USA außenpolitisch? 

Die US-Amerikaner wollen offensichtlich in Osteuropa und Mittelosteuropa die Suppe gegen Russland weiter beim Kochen halten. Irgendwie ist man der Auffassung, dass man Russland auf Distanz halten muss, weil Russland sich den westlichen Vorstellungen nicht unterordnen will. Man ist der Auffassung, dass man Russland in einem Dauerkonflikt unterhalb eines militärischen Konfliktes halten muss. Dafür braucht man hörige Vasallen in Europa — und die hat man. Man könnte mit Polen und dem Baltikum natürlich noch argumentieren, dass sie eine eigene Geschichte haben, die sie geprägt hat. Aber diese Rechtfertigung trifft auf die heutige Zeit nicht mehr zu. Und auf Bulgarien und Rumänien trifft das schon einmal gar nicht zu. Diejenigen, die neben den Russen darunter zu leiden haben werden – und Russland wird natürlich entsprechend militärisch reagieren — das wird der bulgarische, der rumänische, oder auch der polnische Steuerzahler sein.

Das Ganze ist in jedem Fall ein Schritt gegen die Abrüstung in Europa. Eine offizielle Reaktion der Bundesregierung gibt es darauf noch nicht. Aber was glauben Sie, wie wird diese Reaktion wohl ausfallen?

Die wird nicht negativ ausfallen. Die Bundesregierung ist bei der Eskalationspolitik der US-geführten NATO immer dabei. Und die Bundesregierung ist mit der Bundeswehr ein wesentliches Element der NATO-Speerspitze in Osteuropa. Hier findet eine Eskalation statt, die Europa nicht braucht, die auch Osteuropa de facto nicht braucht, die Russland nicht braucht — aber offensichtlich unser “großer Bruder” jenseits des Teiches benötigt.

Sie selbst sind Mitglied im Verteidigungsausschuss des Deutschen Bundestages. Wie beobachtet man dort die Entwicklung der US-Außenpolitik? Geht man damit völlig konform, oder gibt es hinter vorgehaltener Hand einige Bedenken? 

Also bei den übrigen Parteien — von SPD über CDU und Grüne — sehe ich da keinerlei Bedenken. Selbst bei den Grünen sehe ich da keine lautstarken Bedenken. Bei der CDU und der SPD findet man das alles richtig, was die USA sagen. Das ist eine Transatlantiker-Gruppierung innerhalb der Politik in Berlin, und nur wer ein strammer Transatlantiker ist, kann auch im Verteidigungs- und im Auswärtigen Ausschuss sitzen. Da ist die LINKE die einzige Partei, die einzige Fraktion, die eine ganz andere Auffassung vertritt. Aber alle übrigen Parteien gehen da in gewisser Weise hirnlos mit konform.

Interview: Marcel Joppa

http://de.sputniknews.com/politik/20160331/308869077/usa-europa-panzer-bundesregierung.html#ixzz44VfQhT1g

“Geschichtsvergessend“: Deutsche Politiker zur Nato-Aufrüstung an russischer Grenze

Sputnik Deutschland

15:28 30.04.2016
Zum Kurzlink
 
Die Meldung über eine mögliche Entsendung von Bundeswehrsoldaten nach Litauen zur „Eindämmung“ Russlands hat in den Medien und den sozialen Netzwerken in Deutschland für großes Aufsehen gesorgt.

Dabei gehen die Meinungen oft weit auseinander. Aus Sicht der „Süddeutschen Zeitung“ steht Berlin vor einem Dilemma. Wenn Deutschland die Entsendung der Truppen verweigern würde, wäre das unsolidarisch gegenüber den baltischen Staaten. Sollte es einwilligen, würde das die Beziehungen zu Russland belasten. Der Deutschlandfunk gibt diesen Plänen allerdings recht: Die Nato müsse die „territoriale Integrität der Länder garantieren“, die sich in der Nähe Russland „unsicher“ fühlen.

Doch diese Begründung, die Staaten fühlten sich durch Russland bedroht, hält der Linken-Politiker Gregor Gysi für wenig überzeugend. „Erstens geht es nicht um Gefühle, sondern um die Frage, ob eine wirkliche Bedrohung vorliegt. Zweitens wären diese 250 Soldaten im Falles eines wirklichen Krieges mehr als überflüssig“, so Gysi auf seiner Facebook-Seite. Um seinen Gesichtspunkt noch deutlicher zu machen, erinnert der Politiker an die Geschichte: „Deshalb ist es geschichtsvergessen und eskalierend, jetzt Truppen an die russische Grenze zu schicken.“

https://www.facebook.com/gregor.gysi/?ref=nf

Die Bundestagsabgeordnete Sahra Wagenknecht unterstützt ihren Parteigenossen: „Bundeskanzlerin Angela Merkel begeht eine unverantwortliche Provokation, wenn sie 75 Jahre nach dem Überfall Deutschlands auf die Sowjetunion die Bundeswehr zur russischen Grenze schickt.“

In den Kommentaren im Internet haben viele Leser ihrem Unmut über das Vorhaben der Bundesregierung Luft gemacht. „Die Grenze nach Afrika / Türkei / Syrien ist offen, aber die Gefahr kommt aus Russland. Einfach nur verrückt“, schrieb ein Nutzer in den Kommentaren zu einem „Welt“-Artikel. Ein anderer Leser, J89, wies darauf hin, dass ein Nato-Bataillon an der Grenze zu Russland keine beachtenswerte Gefahr darstelle: Das sei „Symbolpolitik“.

Auch andere Internet-Nutzer sind von der Aussicht, deutsche Soldaten in Richtung Russland zu schicken, wenig begeistert:

 https://twitter.com/heiko_faf

https://twitter.com/SPIEGEL_EIL

http://de.sputniknews.com/politik/20160430/309580720/deutsche-politiker-zur-nato-aufruestung-an-russischer-grenze.html?utm_source=https%3A%2F%2Ft.co%2FmRddb0wiY8&utm_medium=short_url&utm_content=bhV9&utm_campaign=URL_shortening

“Europa braucht Russland und Russland braucht Europa”; Erklärung des Willy-Brandt-Kreises für einen neuen europäischen Umgang mit der Ukraine-Krise

Sperrfrist: 21. Juli 2015, 12.00 Uhr!

Erklärung des Willy-Brandt-Kreises

Zum bedrohten Frieden –

für einen neuen europäischen Umgang mit der Ukraine-Krise

Europa durchlebt die schwerste Krise seit dem Ende des Ost-West-Konflikts. Nicht nur der Umgang mit Griechenland und den Flüchtlingsströmen hält den Kontinent in Atem, auch der mühsam ausgehandelte Waffenstillstand in der östlichen Ukraine ist brüchig. Solange der Konflikt um die Zukunft der Ukraine ungelöst ist, besteht die ständige Gefahr eines Abstur-zes.

Eine umfassende Friedensordnung für Europa, dieses Versprechen der Charta von Paris von 1990, ist unerfüllt geblieben. Doch Europa kann kein Interesse daran haben, die alte Rivalität der Supermächte USA und Sowjetunion fortzusetzen und Russland in die Knie zu zwingen. Das unterscheidet die europäische von der amerikanischen Interessenlage: Ohne Russland o-der gar gegen Russland kann kaum ein Problem gelöst werden, das Europa als Ganzes betrifft. Das zeigt die jüngste Geschichte: Russland und die Völker der Sowjetunion haben entschei-dend zur Befreiung Europas vom Faschismus beigetragen, aber auch zur deutschen Vereini-gung. Deutschland hat daher eine besondere Verantwortung, Russland als Partner in einer eu-ropäischen Friedensordnung zu gewinnen.

1990 schien diese Frage ein für alle Mal beantwortet: Russland als Mitarchitekt der europäi-schen Einigung, würde natürlich – wie auch die USA – ein Anker und ein gleichberechtigter Partner sein. Russland sah sich seither in seinen Erwartungen enttäuscht: Die Erweiterungspo-litik der EU und vor allem der NATO schloss eine Mitgliedschaft Russlands ausdrücklich aus: zu groß, zu komplex, hieß es damals – während einige Staaten im östlichen Europa das Ziel ihres Beitritts zur westlichen Allianz offen als Sicherheitsvorsorge vor Russland betrieben. Ohne eigene Beitrittsperspektive Russlands nährte die Erweiterung der westlichen Bünd-nisstrukturen alte russische Einkreisungsängste, welche nationalistische Reflexe und den all-mählichen Rückfall in das Denken in geopolitischen Kategorien und Einflusszonen begünstig-ten.

Die ukrainische Krise ist somit Ausdruck eines heraufziehenden russisch -euroatlantischen Großkonflikts, der in eine Katastrophe münden kann, wenn die sich bereits drehende Spirale des Wettrüstens, der militärischen Provokationen und konfrontativen Rhetorik nicht gestoppt wird. Wir wenden uns daher an alle verantwortlichen Politiker und friedensbewegten Bürger, aber vor allem ganz direkt an die SPD:

In dieser Situation ist eine mutige politische Initiative gefordert, vergleichbar jener, die nach Mauerbau und Kubakrise in der Hochzeit des Kalten Krieges den Ausbruch aus der Logik der Konfrontation mit der Sowjetunion wagte. Damals war es in Europa allen voran die deutsche Sozialdemokratie, die mit der neuen Ostpolitik Willy Brandts einer europäischen Entspan-nungspolitik den Weg ebnete. 2015 bedarf es ebensolchen Mutes und politischer Klugheit, um der drohenden Spirale neuerlicher Konfrontation und Spaltung Europas zu begegnen. Wir for-dern daher innezuhalten und einen Neustart der Beziehungen mit Russland zu wagen, bevor es für Alle und Alles zu spät ist!

(1) Die Ukraine-Krise lässt sich durch politische Sanktionen gegen Russland nicht lösen. Die tieferliegenden Ursachen der russisch-europäischen Entfremdung gehören auf die politische Tagesordnung europäisch-russischer Gipfelgespräche. Dauerhafter Interes-senausgleich gelingt nur durch Dialog und Verhandlungen. Die wirtschaftlichen Sank-tionen unterminieren die Entwicklung Europas als gemeinsamer Wirtschaftsraum. Zu-sammenarbeit ist ein Motor der Vertrauensbildung. Eine intakte Energieinfrastruktur, die durch die aktuellen Spannungen bereits in Mitleidenschaft gezogen wurde, liegt genauso im gemeinsamen Interesse wie wechselseitige Handelsbeziehungen.

(2) Die Europäische Union darf sich infolge ihrer Mitverantwortung für das Entstehen dieser Krise nicht der Mitwirkung an deren einvernehmlicher Lösung entziehen. Das Zusammenwirken von Deutschland, Frankreich und Polen mit der Ukraine und Russ-land beim Minsk II-Abkommen, ist ein innovativer Ansatz. Von dessen Umsetzung hängt es ab, gestörtes Vertrauen zurückzugewinnen. Aber eine breitere europäische Einbettung tut not. Deutschland muss hierfür im kommenden Jahr seine Verantwor-tung in der OSZE-Präsidentschaft in die Waagschale werfen und konzeptionell wie di-alogorientiert agieren.

(3) Weil auch die USA als wichtigster Partner der neuen ukrainischen Regierung eine hohe Verantwortung für die Lösung der Krise haben, sind alle Gremien wichtig, die Russland und die USA zusammenbringen. Gerade in Krisenzeiten bedarf es besonders engmaschiger Kommunikation. Daher sollten die G7 Russland sofort wieder einbezie-hen, der NATO-Russland Rat muss seine Arbeit schnellstmöglich wieder aufnehmen. Notwendige Krisenkommunikation darf nicht beschränkt oder gar verhindert, sondern muss ausgebaut werden.

(4) Die Einverleibung der Krim durch Russland ist ein Verstoß gegen internationale Ab-kommen und zugleich eine politische Realität, die nicht gegen den Mehrheitswillen der Bevölkerung der Krim rückgängig gemacht werden kann. Der Status Quo darf die Notwendigkeit der konstruktiven Zusammenarbeit mit den Beteiligten im gemeinsa-men europäischen Interesse nicht unterbinden.

(5) Die Ukraine-Krise ist auch das Ergebnis einer schwachen föderalen Struktur in einem noch jungen Staat. Nur eine starke föderale Ordnung kann das Land vor ethnischer Spaltung und drohender Sezession bewahren. Die Erfahrungen anderer europäischer Staaten mit föderalen Strukturen sollten von den Parteien in der Ukraine abgerufen werden können, wenn sie dies wünschen.

(6) Eine Mitgliedschaft der Ukraine in der NATO würde kein Mehr an Sicherheit bringen. Sie würde im Gegenteil russische Befürchtungen über die Ziele der NATO weiter be-feuern und die Risiken ungewollter militärischer Konfrontation noch erhöhen. Die Vertrauensbildung zwischen den politischen und militärischen Gremien aller europäi-schen Staaten, wie sie im Rahmen des „Wiener Dokuments” der OSZE, zuletzt 2011, vorgesehen ist, ist gerade in Krisenzeiten auszubauen.

(7) Die Ukraine-Krise gefährdet die europäische Rüstungskontrolle. Wettrüsten, die Ver-lagerung von militärischen Ausrüstungen und neue Truppenstationierungen beiderseits der russischen Grenze legen die Axt an das bestehende System von Verträgen. Die Be-teiligung deutscher Truppen bei der Aufstellung von „Eingreiftruppen” kann auf russi-scher Seite Erinnerungen an den deutschen Überfall auslösen und unnötig Öl ins Feuer gießen. Militärische Entflechtung, Nichtverbreitung und die Begrenzung von Waffen-arsenalen und Truppen sind Aufgaben, die keinen Aufschub dulden.

 

(8) Die im Zusammenhang mit der Ukraine-Krise erneut aufgebrochenen Drohungen mit dem Einsatz von Atom-Waffen sind alarmierend. Es droht eine Neuauflage der „Nach-rüstung” der 80er Jahre mit atomaren Mittelstreckenraketen in Europa. Atom-Waffen müssen endlich geächtet werden. In ihrer die ganze Welt erreichenden Vernichtungs-kraft müssen sie als prinzipiell nicht einsetzbar gelten.

(9) Die Friedensordnung Europas ist nicht nur eine Ordnung der Staaten. Sie beruht auf starken Zivilgesellschaften, grenzüberschreitender Zusammenarbeit in den Bereichen Kultur, Medien, Sport, Wissenschaft u.a.m. Auch durch die Neubelebung des europäi-schen Jugendaustauschs mit Russland und der Ukraine können stereotype Denkweisen überwunden und generationenübergreifend Impulse für ein besseres Verständnis von-einander – und ein gutes Verhältnis miteinander – gesetzt werden.

Europa braucht Russland und Russland braucht Europa. Wir stehen vor der Weichenstel-lung, in einen neuen, mehr oder weniger Kalten Krieg mit ungewisser Perspektive abzuglei-ten oder uns auf das Ziel einer gemeinsamen europäischen Friedensordnung zu besinnen.

Die Zeit zum Handeln ist jetzt!

Berlin, den 21. Juli 2015

Prof. Egon Bahr, Prof. Dr. Elmar Brähler, Prof. Dr. Peter Brandt, Volker Braun, Daniela Dahn, Dr. Friedrich Dieckmann, Prof. Dr. Hans-Joachim Gießmann, Prof. Dr. Lutz Götze, Prof. Dr. Ingomar Hauchler, Dr. Enrico Heitzer, Gunter Hofmann, Prof. Dr. Gustav Horn, Prof. Dr. Dieter Klein, Dr. Rainer Land, Dr. Hans Misselwitz, Dr. Irina Mohr, Prof. Dr. Götz Neuneck, Prof. Dr. Rolf Reissig, Dr. Edelbert Richter, Wolfgang Schmidt, Axel Schmidt-Gödelitz, Prof. Dr. Michael Schneider, Dr. Friedrich Schorlemmer, Ingo Schulze, Prof. Klaus Staeck, Prof. Dr. Walther Stützle, Antje Vollmer, Dr. Christoph Zöpel

Click to access 150721-zum-bedrohten-frieden-erklaerung-des-willy-brandt-kreises_juli2015.pdf

 

Rede von Sahra Wagenknecht in der Debatte des Bundestages: “Die Konfrontation mit Russland hat die Ukraine zerstört. Sie schadet ganz Europa”

English translation at https://freeukrainenow.org/2015/04/10/bundestag-speech-by-mp-sahra-wagenknecht-eu-policy-has-destroyed-ukraine-and-damaged-Europe/

From Sahra Wagenknecht.de
19.03.2015

“Holen Sie sich unser Geld bei den Banken und der griechischen Oberschicht zurück!”
Rede von Sahra Wagenknecht in der Debatte des Bundestages am 19.03.2015 zur Regierungserklärung zum Europäischen Rat am 19./20.03.2015

Zum Video der Rede

Dr. Sahra Wagenknecht (DIE LINKE):

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Frau Bundeskanzlerin! Zu ihren besten Zeiten hatte die deutsche Außenpolitik zwei Prioritäten. Das waren die europäische Einigung und eine Politik der guten Nachbarschaft gegenüber Russland. Es sollte Ihnen schon zu denken geben, Frau Merkel – wenn Sie bitte zuhören könnten -,

(Volker Kauder (CDU/CSU): Das ist eine Frechheit!)

dass Nationalismus und Zwietracht in Europa, knapp zehn Jahre nachdem Sie das Kanzleramt übernommen haben, wieder gedeihen wie lange nicht mehr und im Verhältnis zu Russland die Entspannungspolitik einem neuen Kalten Krieg gewichen ist.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Die spezifischen US-Interessen in Europa hat vor kurzem der Chef des einflussreichen Thinktanks Stratfor in einer Pressekonferenz in eindrucksvoller Offenheit erläutert: Hauptinteresse der Vereinigten Staaten sei es, ein Bündnis zwischen Deutschland und Russland zu verhindern, denn – so wörtlich – „vereint sind sie die einzige Macht, die uns”, also die USA, „bedrohen kann”.

Diese vermeintliche Bedrohung von US-Interessen wurde auf absehbare Zeit erfolgreich erledigt. Das begann eben damit, dass die EU im Rahmen der Östlichen Partnerschaft versucht hat, die betreffenden Länder aus der wirtschaftlichen und politischen Kooperation mit Russland herauszubrechen.

(Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist aberwitzig!)

Frau Merkel, natürlich war das gegen Russland gerichtet; aber es war eben auch nicht im Interesse der betreffenden Länder. Sie haben denen das Entweder-oder aufgezwungen, nicht Russland.

(Beifall bei der LINKEN)

Im Ergebnis hat die Ukraine einen Großteil ihrer Industrie verloren. Heute ist dieses Land ein bankrotter Staat, in dem Menschen hungern und frieren und die Löhne niedriger sind als im afrikanischen Ghana.

Aber die Konfrontation mit Russland hat nicht nur die Ukraine zerstört. Sie schadet ganz Europa. Es ist doch ein offenes Geheimnis, dass die Vereinigten Staaten den Konflikt mit Russland auch aus wirtschaftlichen Gründen schüren. Wenn US-Regierungen von Menschenrechten reden, dann geht es in der Regel um Bohrrechte oder um Schürfrechte. Gerade in der Ukraine ist angesichts der großen Schiefergasvorkommen verdammt viel zu schürfen.

(Beifall bei der LINKEN)

Wenn jetzt im Rahmen der Energieunion von neuen Pipelinerouten und einer zunehmenden Unabhängigkeit vom russischen Gas geredet wird, dann sollten Sie den Leuten ehrlicherweise sagen, was das bedeutet: wachsende Abhängigkeit vom wesentlich teureren und ökologisch verheerenden US-Frackinggas. Ich halte das nicht für eine verantwortungsvolle Perspektive.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Liste der ehemaligen deutschen Spitzenpolitiker, die Ihre Russlandpolitik kritisiert haben, Frau Merkel, ist lang. Da finden Sie die Namen Ihrer Vorgänger Gerhard Schröder, Helmut Kohl, Helmut Schmidt und ebenso Hans-Dietrich Genscher. Vielleicht hat das ja auch zu Ihrem Einlenken beigetragen. Auf jeden Fall war es richtig, dass Sie gemeinsam mit dem französischen Präsidenten Hollande die Initiative zu neuen Verhandlungen ergriffen haben. Minsk II hat immerhin dazu geführt, dass in der betreffenden Region seit Wochen deutlich weniger Menschen sterben als in den Wochen und Monaten davor und dass die Tür zu einer friedlichen Lösung geöffnet wurde.

(Beifall bei der LINKEN)

Natürlich ist das ein wichtiges Ergebnis. Sie, Frau Bundeskanzlerin, und der französische Präsident verdienen dafür Anerkennung.

(Tino Sorge (CDU/CSU): Dann sagen Sie das doch auch mal!)

Wem aber an Frieden und Sicherheit in Europa liegt, der muss den Weg von Minsk II jetzt auch mit Konsequenz und Rückgrat weitergehen. Da ist es natürlich ein Problem, dass Konsequenz und Rückgrat nicht gerade zu Ihren hervorstechenden Eigenschaften gehören.

(Beifall bei der LINKEN – Widerspruch bei der CDU/CSU)

Laut OECD haben beide Seiten den Waffenstillstand wiederholt gebrochen. Sie, Frau Merkel, haben gerade wieder gefordert, dass die Sanktionen gegen Russland erst aufgehoben werden, wenn Minsk II umgesetzt ist.

(Beifall des Abg. Volker Kauder (CDU/CSU))

Natürlich ist es inakzeptabel, wenn aus den Reihen der Aufständischen immer noch geschossen wird.

(Tino Sorge (CDU/CSU): Inakzeptabel!)

Aber wenn ukrainische Truppen oder die auf ihrer Seite kämpfenden Nazi-Bataillone weiter schießen, dann ist das doch mindestens genauso inakzeptabel. Dazu hört man von Ihnen kein kritisches Wort.

(Beifall bei der LINKEN)

Wieso melden Sie sich auch nicht mit Kritik zu Wort, wenn die ukrainische Regierung trotz drohenden Staatsbankrotts in diesem Jahr viermal so viel Geld für neue Waffen ausgeben möchte als im letzten Jahr?

(Dr. Diether Dehm (DIE LINKE): So ist es!)

Das spricht nicht gerade dafür, dass der Weg des Friedens in der ukrainischen Regierung besonders engagierte Unterstützer hat.

Ebenso können die Entsendung von Militärberatern und die Waffenlieferungen durch die Vereinigten Staaten und Großbritannien eher als Torpedierung denn als Unterstützung des Friedensprozesses gewertet werden. Aber wollen Sie jetzt auch gegen die USA und Großbritannien Sanktionen verhängen? Ich glaube, es wäre besser, einzusehen, dass diese ganze unsägliche Sanktionspolitik ein einziger großer Fehler war, mit dem sich Europa ins eigene Knie geschossen hat. Deswegen sollten die Sanktionen nicht verlängert werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir brauchen auch keine zusätzlichen Panzer. Wir brauchen auch keine 3 000 Mann starke NATO-Interventionstruppe in Osteuropa, die niemanden schützt, sondern den Frieden in ganz Europa nur noch mehr gefährdet.

(Beifall bei der LINKEN)

Helmut Schmidt hatte doch recht, als er schon 2007 gewarnt hat, dass für den Frieden der Welt von Russland heute viel weniger Gefahr ausgeht als etwa von Amerika

(Lachen der Abg. Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

und dass die NATO nur noch ein Instrument US-amerikanischer Hegemoniebestrebungen sei. Wenn das stimmt, dann lässt das doch nur einen vernünftigen Schluss zu: dass Europa endlich eine eigenständige und von den USA unabhängige Politik machen muss.

(Beifall bei der LINKEN)

Herr Juncker hat nun die These aufgestellt, wir bräuchten eine europäische Armee, um zu zeigen, dass es uns mit der Verteidigung europäischer Werte gegenüber Russland ernst ist. Ich glaube, dieser Vorschlag zeigt vor allem eins: wie weit sich Europa von dem entfernt hat, was einst die Gründerväter der europäischen Einigung wollten.

(Beifall bei der LINKEN)

Damals ging es ‑ Frau Merkel, Sie haben es eben selber angesprochen ‑ um Frieden, um Demokratie und um Solidarität.

(Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Und den bösen Kapitalismus!)

Nie wieder sollten Nationalismus und Völkerhass die europäischen Länder entzweien. Aber um solche Werte zu verteidigen, dafür brauchen Sie wahrlich keine bewaffneten Bataillone.

 

Wenn Sie die Demokratie verteidigen wollen, Frau Merkel, dann setzen Sie sich doch dafür ein, dass die europäischen Länder endlich wieder von ihren gewählten Regierungen und nicht von Finanzmärkten, nicht von dem ehemaligen Investmentbanker Mario Draghi und, bitte schön, auch nicht von Ihnen, Frau Merkel, regiert werden.

(Beifall bei der LINKEN ‑ Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): Distanzieren Sie sich einmal von der Gewalt gestern! Das wäre ein wichtiger Schritt!)

Wenn Sie Demokratie wollen, dann stoppen Sie die sogenannten Freihandelsabkommen, dann stoppen Sie TTIP, in dessen Folge demokratische Wahlen endgültig zur bloßen Farce verkommen.

(Beifall bei der LINKEN)

Das wäre eine Verteidigung europäischer Werte! Das wäre eine Verteidigung von Demokratie, diese unsäglichen Verhandlungen über TTIP und ähnliche Abkommen endlich auszusetzen!

(Beifall bei der LINKEN)

Wenn Sie ein einiges Europa wollen, dann hören Sie auf, andere Länder zu demütigen und ihnen Programme zu diktieren, die ihrer jungen Generation jede Perspektive nehmen.

(Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sie haben doch zugestimmt bei Griechenland!)

Hören Sie auf, Europa sogenannte Strukturreformen vorzuschreiben, die nur auf wachsende Ungleichheit und einen immer größeren Niedriglohnsektor hinauslaufen!

(Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): Wer koaliert denn mit den Rechten in Griechenland? Das ist doch Ihre Schwesterpartei!)

In Deutschland sind infolge dieser Politik mittlerweile 3 Millionen Menschen trotz Arbeit so arm, dass sie nicht ordentlich heizen, sich nicht anständig ernähren und schon gar nicht in den Urlaub fahren können. Statt diese Politik zum Exportschlager zu erklären, wäre es an der Zeit ‑ und übrigens sehr im europäischen Interesse ‑, sie endlich hier in Deutschland zu korrigieren; denn es ist nicht zuletzt das deutsche Lohndumping, das anderen Ländern der Währungsunion die Luft zum Atmen nimmt.

(Beifall bei der LINKEN)

Finanzminister Schäuble hat kürzlich versucht, die griechische Regierung mit der Bemerkung vorzuführen: Tja, regieren sei halt immer ein Rendezvous mit der Realität.

(Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): Richtig! ‑ Max Straubinger (CDU/CSU): So ist es!)

Da kann man nur sagen: Schön wär’s! Schön wäre es, wenn die deutsche Regierung ihr Rendezvous mit der Realität endlich auch einmal erleben würde.

(Beifall bei der LINKEN ‑ Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): Das schreiben Sie sich auch einmal auf, bevor Sie eine Rede halten!)

Denn Realität ist jedenfalls, dass es nicht die Syriza, sondern die griechischen Schwesterparteien von CDU/CSU und SPD waren, die über Jahrzehnte einen riesigen Schuldenberg aufgetürmt haben, um sich und der Oberschicht die Taschen vollzustopfen.

(Beifall bei der LINKEN)

Realität ist auch, dass Griechenland bereits 2010 hoffnungslos überschuldet war und dass es eine verantwortungslose Veruntreuung von deutschem Steuergeld war, mit diesem Geld die Schulden der Griechen bei den Banken zu bezahlen. Wir haben deswegen damals nicht zugestimmt. Wir haben damals schon einen Schuldenschnitt gefordert.

(Beifall bei der LINKEN)

Wer einem Überschuldeten Kredit gibt, der wird sein Geld mutmaßlich nie wiedersehen. Aber die Verantwortung dafür liegt bei Ihnen, Frau Merkel und Herr Schäuble, und nicht bei der neuen griechischen Regierung, die noch nicht einmal zwei Monate im Amt ist.

(Beifall bei der LINKEN ‑ Widerspruch bei der CDU/CSU)

Realität ist auch, dass unter dem Protektorat der von Ihnen immer noch hochgeschätzten Troika, über deren kriminelle Machenschaften man sich in dem hervorragenden Dokumentarfilm von Harald Schumann informieren kann, die griechischen Schulden noch weiter gewachsen und die griechischen Milliardäre noch reicher geworden sind.

(Dr. Diether Dehm (DIE LINKE): So ist es!)

Und das wollen Sie fortsetzen? Da kann ich nur sagen: Gute Nacht!

Wenn Sie unser Geld zurückholen wollen, dann holen Sie es bei denen, die es bekommen haben,

(Beifall bei der LINKEN)

und das waren nicht griechische Rentner und griechische Krankenschwestern, sondern die internationalen Banken und die griechische Oberschicht. An dieser Stelle können Sie der griechischen Regierung helfen, das Geld wieder einzutreiben.

(Beifall bei der LINKEN – Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): Sagen Sie das doch einmal Herrn Tsipras! Wer regiert denn in Griechenland?)

Zu der ganzen Debatte um mögliche Reparationszahlungen möchte ich nur sagen:

(Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): Die ist zu Ende!)

Egal, wie man diese Forderungen juristisch bewertet, das Mindeste, was man von Vertretern des deutschen Staates erwarten kann, ist ein Mindestmaß an Sensibilität im Umgang mit diesem Thema.

(Beifall bei der LINKEN – Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU)

‑ Ich muss sagen, dass Sie jetzt auch noch lachen, ist wirklich traurig.

(Dr. Diether Dehm (DIE LINKE): Unsensibel!)

Angesichts dessen, wie die deutschen Besatzer in Griechenland gewütet haben, und der Tatsache, dass eine Million Griechinnen und Griechen in diesem finsteren Kapitel deutscher Geschichte ihr Leben verloren haben, finde ich die schnoddrigen Äußerungen von Ihnen, Herr Schäuble, und von Ihnen, Herr Kauder, einfach nur respektlos, und ich schäme mich dafür.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ‑ Zurufe von der CDU/CSU: Oh!)

Um daran zu erinnern, dass Umgang mit Geschichte auch anders geht, möchte ich zum Schluss aus der Rede Richard von Weizsäckers aus Anlass des 40. Jahrestages der Befreiung zitieren; ich komme gleich zum Schluss, Herr Präsident. Sie bezog sich damals vor allem auf Russland und Osteuropa, aber sie gilt natürlich auch für Griechenland:

(Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): Was Sie alles wissen!)

“Wenn wir daran denken, was unsere östlichen Nachbarn im Kriege erleiden mussten, werden wir besser verstehen, dass der Ausgleich, die Entspannung und die friedliche Nachbarschaft mit diesen Ländern zentrale Aufgaben der deutschen Außenpolitik bleiben. Es gilt, dass beide Seiten sich erinnern und beide Seiten einander achten.”

Ja, nur wenn wir uns erinnern und nur wenn wir einander achten, nur dann finden wir zu einer Politik der guten Nachbarschaft zurück, sowohl innerhalb der EU als auch gegenüber Russland.

(Anhaltender Beifall bei der LINKEN)

http://www.sahra-wagenknecht.de/de/article/2090.holen-sie-sich-unser-geld-bei-den-banken-und-der-griechischen-oberschicht-zurueck.html

 

NATO-Kritik im Establishment

English translation at http://russia-insider.com/en/2015/03/23/4815

NachDenkSeiten, 18. März 2015
Verantwortlich:

Das Bundeskanzleramt wirft dem Oberbefehlshaber der NATO in Europa, Philip M. Breedlove, “gefährliche Propaganda” vor. Zur Frage, was von dieser Kritik, die ausgerechnet von der Regierung eines Landes geübt wird, die derlei Propagandatechniken selbst immer wieder angewandt hat, zu halten ist, sprach Jens Wernicke mit dem renommierten Friedensforscher und NATO-Kenner Daniele Ganser.

Herr Ganser, das Bundeskanzleramt wirft dem Oberbefehlshaber der NATO in Europa, Philip M. Breedlove, “gefährliche Propaganda” vor. Breedlove stelle beispielsweise die militärischen Aktivitäten Russlands in der Ostukraine völlig überzogen dar. Was vollzieht sich hier? Wird hier nun ausgerechnet die NATO von ausgerechnet der deutschen Regierung der Kriegspropaganda überführt?

Das Bundeskanzleramt hat recht mit dieser Kritik. Denn meiner Meinung nach passiert derzeit etwas sehr Gefährliches: US-Generäle wie Breedlove versuchen, einen Krieg vom Zaun zu brechen, in welchem sich Deutsche und Russen gegenseitig töten, damit beide Länder geschwächt werden. Das ist ein zynischer, ja diabolischer Plan. Aber US-Strategen wie Georg Friedman, Direktor des Think Tanks Stratfor, schlagen genau dies vor. Denn vereint seien Deutschland und Russland die einzigen Mächte, welche die USA bedrohen könnten, so Friedman in einem Vortrag im Februar 2015 in Chicago.

“Unser Hauptinteresse besteht darin, sicherzustellen, dass dieser Fall nicht eintritt“, so Friedman. Man müsse daher beide Länder in einen endlosen Krieg verwickeln, so dass sie ausbluten. Nicht alle Menschen in den USA vertreten diese Haltung, aber radikale Kriegstreiber wie Friedman schon. „Die USA können als Imperium nicht andauernd in Eurasien intervenieren”, erklärte er. Daher müsse man die verschiedenen Länder Eurasiens gegeneinander aufbringen und verhindern, dass sie sich in Brüderlichkeit verbinden. “Ich empfehle eine Technik, die von Präsident Ronald Reagan eingesetzt gegen Iran und Irak wurde: Er unterstützte beide Kriegsparteien!“ so Friedman. Der Krieg zwischen Irak und Iran von 1980 bis 1988 forderte übrigens mindestens 400.000 Tote, aus Sicht der Friedensforschung ist es also erschreckend, was Friedman da empfiehlt. „Dann haben die Iraner und Iraker gegeneinander und nicht gegen uns gekämpft“, erklärte Friedman in seinem Vortrag. „Das war zynisch und amoralisch. Aber es funktionierte. Denn die USA sind nicht in der Lage, ganz Eurasien zu besetzen. In dem Moment, indem wir einen Stiefel auf europäischen Boden setzen, sind wir aufgrund der demografischen Unterschiede zahlenmäßig total unterlegen.”

Meiner Meinung nach versuchen nun radikale US-Generäle wie Breedlove genau diese Strategie umzusetzen, damit sich in Zukunft deutsche und russische Soldaten gegenseitig in der Ukraine erschießen und ganz Osteuropa destabilisiert und geschwächt wird. Das aber wäre eine Katastrophe. Darum muss die Friedensbewegung ein Gegenprogramm anbieten, nämlich Neutralität für die Ukraine. Kein NATO-Beitritt also – und Freundschaft zwischen Deutschland und Russland.

Wie geht denn die NATO vor, um den Konflikt zu schüren?

NATO-General Breedlove ist immer wieder dadurch aufgefallen, dass er übertriebene oder unwahre Behauptungen verbreitet hat. Dadurch schürt die NATO den Krieg. Das ist sehr gefährlich, weil die Situation ja angespannt ist, wie wir alle wissen. Am 12. November 2014 erklärte Breedlove zum Beispiel, dass nun russische Truppen und Panzer in die Ukraine einmarschiert seien! Doch das stimmte nicht, und das ist keine Kleinigkeit. Wörtlich sagte der NATO-General: “Wir haben gesehen, dass russische Truppen, russische Panzer, Artillerie und Luftabwehrsysteme in die Ukraine einmarschiert sind.” Das wurde von der BBC und anderen Massenmedien weltweit verbreitet, aber es war eine Lüge.

Und auch US-General Ben Hodges, Kommandeur der US-Streitkräfte in Europa, treibt den Krieg an, indem er die ukrainische Armee unterstützt. Im Januar 2015 besuchte Hodges ein Militärspital in Kiew und überreichte verwundeten ukrainischen Soldaten Tapferkeits-Abzeichen der US-Armee. Das ist völlig ungewöhnlich. Stellen sie sich vor, ein chinesischer General käme in ein Militärspital nach Berlin und würde in Afghanistan verwundeten deutschen Soldaten das Tapferkeits-Abzeichen der chinesischen Armee überreichen! Das erhöht doch die Spannungen.

US-General Hodges zeigt aber symbolisch: Die USA sind jetzt aktiv Kriegspartei in der Ukraine, sie stehen hinter der ukrainischen Armee, die die von Russland unterstützen Separatisten in der Ostukraine bekämpft. Weil Deutschland Mitglied der NATO ist besteht die Gefahr, dass deutsche Soldaten durch die USA in diesen Krieg mit hineingezogen werden, ähnlich wie schon in Afghanistan nach 2001. Wenn das passieren sollte, dann haben wir genau den Zustand, den Friedman fordert: Deutsche und Russen erschießen sich in der Ukraine gegenseitig. Natürlich hoffe ich nicht, dass das passieren wird. Die Friedensbewegung muss vor dieser Gefahr aber warnen, um sie abzuwenden.

Ist derlei denn „üblich“, ich meine: dass die NATO lügt, übertreibt oder betrügt?

Ja, leider hat die NATO immer wieder Lüge und Gewalt kombiniert. In meinem Buch „NATO-Geheimarmeen in Europa. Inszenierter Terror und verdeckte Kriegsführung“ zeige ich auf, wie die NATO im Kalten Krieg in allen Ländern Westeuropas mit Unterstützung des US-Geheimdienstes CIA und des britischen Geheimdienstes MI6 Geheimarmeen aufgebaut hatte, ohne dass die Bevölkerung oder das Parlament etwas davon wusste.

Vor allem US-Generäle sind gefährlich, denn sie haben in den letzten 70 Jahren fast ohne Unterbrechung Krieg geführt in vielen verschiedenen Ländern und sind es als Vertreter eines Imperiums nicht nur gewohnt zu töten, sondern auch zu täuschen. General Lyman Lemnitzer beispielsweise, der von 1963 bis 1969 als SACEUR der NATO diente, also ein Vorgänger des jetzigen SACEUR Breedlove, hat in den 1960er Jahren empfohlen, die USA könnten einen Krieg gegen Kuba inszenieren, indem man ein amerikanisches Schiff auf dem US-Militärstützpunkt Guantanamo selber in die Luft sprengt sowie Terroranschläge in Washington durchführt und beide Verbrechen dann Fidel Castro in die Schuhe schiebt, um das amerikanische Volk auf einen Krieg gegen Kuba einzustimmen. Diese sogenannte Operation Northwoods wurde zum Glück von Präsident John F. Kennedy gestoppt, sie zeigt aber, wie gefährlich hohe Offiziere im Pentagon sind.

Treiben denn nur die USA diese Kriege an oder sind auch andere NATO-Länder involviert?

Die NATO zählt heute 28 Mitglieder und leider sind auch andere NATO-Länder an der Kriegspropaganda beteiligt. Zum Beispiel die Briten. Vor dem Angriff auf den Irak im März 2003 erklärte der britische Premierminister Tony Blair: „Der Irak besitzt chemische und biologische Waffen. (…) Seine Raketen sind binnen 45 Minuten einsatzbereit.“ Das war eine Lüge. Der Angriff der NATO-Länder USA und Großbritannien auf den Irak wurde dann aber dennoch und zwar ohne UNO-Mandat und illegal geführt.

Und auch als die NATO am 24. März 1999 damit begann, Serbien zu bombardieren war dies ein illegaler Angriffskrieg, weil die NATO erneut kein Mandat des UNO-Sicherheitsrates hatte. Damals war es Deutschland unter Bundeskanzler Gerhard Schröder, Verteidigungsminister Rudolf Scharping und Außenminister Joschka Fischer, das zusammen mit den USA aktiv an diesem Angriffskrieg teilgenommen hat. Im Vorfeld des Krieges wurden Lügen erzählt, um die Menschen in den Krieg zu treiben. Schröder hat 2014 eingeräumt, dass die NATO damals gegen das Völkerrecht verstoßen hat. „Als es um die Frage ging, wie entwickelt sich das in der Republik Yugoslavien, Kosovokrieg, da haben wir unsere Flugzeuge, unsere Tornados, nach Serbien geschickt und wir haben zusammen mit der NATO einen souveränen Staat gebombt, ohne, dass es einen Sicherheitsratsbeschluss gegeben hätte“, so Schröder selbstkritisch.

Wie kommt es, dass bei alldem üblicherweise niemand wiederspricht und nachher in all unseren Medien immer dieselben NATO-Argumente und -Statements zu lesen sind?

Die Massenmedien in Deutschland führen die Menschen leider direkt in die Konfrontation mit Russland hinein, genauso, wie es sich radikale US-Amerikaner wie Stratfor-Direktor Friedman wünschen. Das heißt, es wird täglich der Hass gegenüber Russland geschürt. Nur ganz selten gibt es eine kritische Auseinandersetzung mit der NATO oder den strategischen Interessen des Imperiums USA, also den Kräften, welche den Krieg in der Ukraine antreiben.

Viele Journalisten getrauen sich auch gar nicht, die USA als Imperium zu bezeichnen, fürchten um ihre Stelle oder anderes. Aber es ist ganz offensichtlich, dass die USA das Imperium der Gegenwart sind, also das mächtigste Land, und natürlich verfolgen Imperien immer ihre Machtinteressen. Dies wird aber von den Massenmedien zu wenig offen dargelegt. Viele sitzen täglich vor dem Fernseher und kennen weder die Bezeichnung „Imperium USA“ noch die strategischen Interessen dieses Imperiums in Eurasien. Daher sind kritische Menschen vollkommen zurecht von den bekannten Fernsehkanälen und Zeitungen enttäuscht und versuchen, sich mehr über das Internet und alternative Medien zu informieren.

Und meinen Sie, die entsprechende Kritik unserer Regierung ist Indiz dafür, dass diese nun endlich der globalen Gewaltspirale den Kampf ansagt, sich also eine Entwicklung weg von Propaganda gegen und hin zu Respekt und Dialog mit Russland abzuzeichnen beginnt? Und: Ist sie selbst, unsere Regierung, denn wirklich glaubwürdiger als die NATO, welche sie nun so wortgewaltig kritisiert?

Ich bin ja in der Schweiz, wir sind nicht Mitglied der NATO. Ich habe also eine Außensicht auf die Politik von Deutschland und Kanzlerin Merkel. Ich sehe, dass sich in Deutschland viele Menschen Sorgen machen wegen des Krieges in der Ukraine, weil er so nahe ist. Und die meisten Deutschen, mit denen ich in Kontakt bin, wollen auf keinen Fall, dass sich deutsche und russische Soldaten in Zukunft in der Ukraine gegenseitig erschießen. Aber ich bin mir nicht sicher, was die deutsche Regierung will. Sie fährt einen Zickzackkurs. An einem Tag heizt sie als NATO-Mitglied zusammen mit den USA den Krieg in der Ukraine an, indem sie die Spannungen gegenüber Russland erhöht. Und an einem anderen Tag versucht sie, die Freundschaft oder zumindest den Respekt gegenüber Russland zu wahren etwa indem sie NATO-Kriegstreiber wie Breedlove öffentlich kritisiert. Welche Linie sich da in Zukunft durchsetzen wird, ist offen.

Und wie bewerten Sie den Abgang des Scharfmachers Anders Fogh Rasmussen als NATO-Generalsekretär? Wird Jens Stoltenberg womöglich eher friedfertigerer Nachfolger sein? Oder anders: Wieviel Einfluss hat der so genannte Generalsekretär eigentlich auf die konkrete NATO-Politik?

Wenn sie die Geschichte der NATO studieren, erkennen sie leicht, dass der Generalsekretär immer ein Europäer ist, also derzeit mit Stoltenberg ein Norweger oder zuvor mit Rasmussen ein Däne. Aber das sollte die Europäer nicht darüber hinwegtäuschen, dass die USA das Sagen haben in der NATO. Der wichtigste Posten ist nämlich nicht jener des Generalsekretärs, sondern der des Supreme Allied Commander Europe, denn hier liegt das militärische Kommando, und das ist immer ein amerikanischer General, derzeit also Breedlove.

Hat Stoltenberg die Kriegstreiberei von Breedlove öffentlich kritisiert oder ihn gestoppt? Nein, denn das kann er gar nicht. Die Aufgabe von Stoltenberg als Generalsekretär besteht vor allem darin, der NATO ein europäisches Gesicht zu geben. Das wirkt in Europa viel besser als wenn immer ein US-Diplomat auftritt.

Ich glaube also nicht, dass Stoltenberg die NATO in eine friedensbringende Organisation verwandeln will oder kann. Und zwar auch deswegen, weil der Leistungsausweis der NATO der letzten beiden Dekaden veranschaulicht, dass NATO-Kriege und die Technik des Regime Change über all diese Jahre hinweg allerorten zerstörte Länder mit traumatisierten Menschen zurückgelassen haben, in Libyen, in Irak und in Afghanistan. Ich hoffe nicht, dass nun auch noch die Ukraine auf diese traurige Liste kommt.

Ich bedanke mich für das Gespräch.

Weiterschauen und -lesen:

George Friedman: “Europe: Destined for Conflict?”

Daniele Ganser: Die Nato dehnt sich aus und nicht Russland

 


Daniele Ganser (Dr. phil.) ist Schweizer Historiker, spezialisiert auf Zeitgeschichte seit 1945 und Internationale Politik. Seine Forschungsschwerpunkte sind Friedensforschung, Geostrategie, verdeckte Kriegsführung, Ressourcenkämpfe und Wirtschaftspolitik. Er unterrichtet an der Universität St. Gallen (HSG) zur Geschichte und Zukunft von Energiesystemen und an der Universität Basel im Nachdiplomstudium Konfliktanalysen zum globalen Kampf ums Erdöl. Er leitet das Swiss Institute for Peace and Energy Research (SIPER) in Basel.

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